Mitten im Souvenirshop des Garden at the Bay begann uns der alte Mann stolz zu erzählen: „Der Halbmond bedeutet, dass wir eine sehr junge Nation sind. Gerade einmal 52 Jahre ist es her, dass wir uns von der britischen und der malaysischen Kolonialmacht abgespalten haben. Damals entstanden auf Singapurs Flagge die heutigen fünf Sterne, welche die Ideale unserer Gesellschaft verkörpern.“ Sein perfekter englischer Wortschatz überraschte und die Hingabe für sein Land beeindruckte uns. Als wir das Geschäft wieder verließen, streiften wir mit unserem Blick noch einmal die riesigen futuristischen Gewächshäuser des Parks. Uns überkam langsam das Gefühl diesmal mit einer völlig anderen Kultur in Berührung zu kommen, konnten jedoch diese Gedanken noch nicht ganz greifen. Gemütlich spazierten wir weiter in Richtung Art & Science Museum. Der Weg war makellos instand gehalten. An beiden Seiten sahen wir perfekt gestaltete Gärten mit exotischen Pflanzen, hin und wieder lag jemand im ausgerollten Rasen und hielt ein Nickerchen. In der Ferne standen am Horizont verteilt einige der mindestens 20 Meter hohen Supertrees. Sie sind die eigentliche Hauptattraktion dieses Gartens und sammeln durch riesige Solarkollektoren Energie um die Parkanlage mit Strom zu versorgen.
Auf der anderen Seite des Parks über den Bäumen ragt das Marina Bay Sands Resort empor. Mit einer Höhe von 55 Stockwerken und einem Bauvolumen von 4,5 Milliarden Euro ist es mittlerweile Singapurs Wahrzeichen geworden. Rein aus Interesse haben wir nachgefragt wieviel hier ein Zimmer mit Meeresblick kostet. Na was schätzt Ihr? Um die 300 EUR muss man für ein Standard Zimmer ohne Frühstück rechnen. Es gehört einem Hotelbesitzer aus Las Vegas, der damit heute 0,8% des Bruttoinlandsproduktes für Singapur erwirtschaftet.
Vorbei am lotusähnlichen Museum schlenderten wir die sogenannte Bayfront entlang, wo Singapurs Wolkenkratzer um die Herrschaft des Himmels kämpfen. Die meisten von ihnen beinhalten Banken und Versicherungen. Jeden Tag scheint hier ein Fest gefeiert zu werden oder eine spektakuläre Show statt zu finden. Die Leute scheinen diese Welt zu lieben, das Gefühl wie moderner Lifestyle sich anfühlt, könnte nicht deutlicher präsentiert werden. Die Menschen scheinen immerzu freundlich zu sein, sind alles andere als zurückhaltend und immer für ein kleines Gespräch bereit. Viele von ihnen kommen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen des asiatischen Raumes und haben sich in Singapur schon vor langer Zeit niedergelassen. Einst gab es zu jeder Kultur ein eigenes Viertel und die Zutritte waren meist nur dort Ansässigen erlaubt. Heute sind alle Tore offen und es existieren keine Zäune mehr. Dennoch haben sich die kulturellen Eigenheiten dieser Viertel zu einem Großteil erhalten und versprühen heute einen bestimmten Charme.
Spät nach Einbruch der Dunkelheit kamen wir wieder im Little India Viertel an, wo wir in einem Hostel untergebracht waren. Die Unterkünfte sind hier halbwegs leistbar im Gegensatz zum Rest der Stadt. Auf den Straßen rochen wir die indische Küche und bei einem Schluck Chai fühlten wir uns nicht mehr wirklich in Singapur.
Im chinesischen Viertel besuchten wir das URA Center und machten uns ein Bild von der Stadtplanung von Morgen. Dort hat Singapurs Stadtentwicklung ein maßstabsgetreues Model des ganzen Staates aufbauen lassen. Beeindruckt hat uns der wechselseitige Umgang mit verdichtetem Wohnraum und geplanten Freiraum Zonen. So schaffen sie es Stadtstrukturen entstehen zu lassen, die sich nie erdrückend anfühlen. Dieser Fakt ist aus unserer Sicht in Singapur wichtig, da aufgrund der kleinen Landfläche fast ausschließlich in die Höhe gebaut wird.
Bei einem Spaziergang durch den Business Bezirk bekamen wir fast einen steifen Hals durch unser ständiges Nach-Oben-Schauen. Aufgefallen ist aber auch, dass der Bau vieler geplanter Vorhaben noch nicht einmal begonnen hat. Gastarbeiter kommen von überall her, um in Singapur in der Baubranche Geld zu verdienen. Durchschnittlich 1500 Dollar Lohn im Monat sind in Hier nicht viel, aber in deren Heimatländern können Sie damit ihre Familien gut versorgen. Untergebracht sind sie meistens in Massenunterkünften und am Wochenende fahren viele zurück nach Malaysien. Um die enorme Menge an Gastarbeiter logistisch in den Griff zu bekommen, gibt es spezielle Busbahnhöfe, die ihren Reiseverkehr vereinfachen und leistbar machen sollen.
Die Singhalesen selbst sind meist besser gestellt und in Bürojobs untergebracht, wo keine körperliche Arbeit verrichtet werden muss. Der alte Mann im Souvenirshop meinte dazu recht charmant: „In Wirklichkeit haben wir hier sonst nichts, nur unseren Verstand aus dem wir Nutzen ziehen können. Keine Ressourcen, kein Agra und keine Holzwirtschaft bringt unserem Land Einkommen.“
Doch was sie daraus gemacht haben, sahen wir am Eindrucksvollsten von der Aussichtsplattform des Marina Bay Sands aus. Als wir ein paar Stunden vor Sonnenuntergang oben ankamen, machte die Stadt schon einen imposanten Eindruck auf uns. Moderne Hochhausschluchten glänzten mit ihren gläsernen Fassaden im letzten Sonnenlicht und restaurierte historische Gebäude integrierten schön die Erinnerung an das Gewesene. Um uns herum beobachteten wir Familien, Pärchen und Backpacker, wie sie alle wegen demselben Schauspiel hier saßen und die Stimmung auf sich wirken ließen. Die Zeit verstrich und der Tag wechselte langsam zur Nacht und je weiter sich der Stand der Sonne dem Horizont näherte, desto mehr Fenster wurden erleuchtet. Über mehrere Stunden lang beobachteten wir das Leben in Singapur aus der Ferne bis die gesamte Stadt zu einem Konzert an leuchtenden Farben und Formen mutierte.
„So wurde der erlebte Moment zu einer Geschichte, die uns mehr Inhalt erzählt als so manches Reisemagazin.“
So ähnlich fühlte sich für uns auch die Scooter- Tour an, die unser Hostel organisierte und wir gemeinsam mit anderen Backpackern unternahmen. Kreuz und quer besuchten wir dabei fast die ganze innere Stadt Singapurs. Es ging durch U-Bahn Unterführungen, Fußgängerzonen, auf Straßen, durch Shoppingzentren oder historisch geschützte Gebäude und an Uferpromenaden entlang. Der Vorteil der Geschwindigkeit ließ uns die Stadt aus einer völlig neuen Perspektive erkunden und wir konnten viel weitere Distanzen zurücklegen als zu Fuß. Unser Weg führte uns auch durch die Orchardroad, wo die größten Shoppingzentren mit Weihnachtsdekorationen um die Aufmerksamkeit der Kunden kämpften und Straßenkünstler den Weihnachtsstress der Massen auflockerten. Vor romantisch inszenierten Weihnachtskutschen bildeten sich Menschentrauben zum Selfies machen und Weihnachtsbäume wurden zu einem momentanen Statussymbol der Einkaufszentren erkoren. So ging es bis in die Nacht weiter bis uns am nächsten Morgen die Beine und Fußsohlen so richtig schmerzten.
Auch die Street Art Szene fanden wir in Singapur. Versteckt in kleinen Seitengassen des arabischen Viertels hat sich eine Szene entwickelt, die mit Shops und Bars die Hipster Sehnsüchte befriedigt. Ob an leeren Wänden bunt in Szene gesetzt oder fein verpackt als Produkt zum mitnehmen, jeder versucht hier seine Meinung kund zu tun. Was uns dabei leider fehlte, war die gesellschaftskritische Stimme. Diese suchten wir überall in Singapur vergeblich. Im Art & Science Museum sahen wir zwar eine beeindruckende Ausstellung über Escher und die Raumfahrt der NASA, doch eine kritische Meinung fanden wir auch dort nicht. Vielleicht haben wir sie nicht gefunden, weil es keine gibt – zumindest in der Öffentlichkeit. Rückblickend sprachen wir mit Hotelbesitzern, mit Straßenarbeitern, mit Lebensmittelhändlern und Souvenierverkäufer, und vor allem mit zufälligen Begegnungen überall wo man es sich nur vorstellen kann. Jeder lächelte uns entgegen aber niemand verlor ein böses Wort über irgendetwas.
Der alte Mann im Souvenirshop erklärte uns damals noch die fünf Sterne auf Singapurs Flagge. Die Ideale der Demokratie, des Friedens, des Fortschritts, der Gerechtigkeit und der Gleichheit sind Werte nach denen die Menschen hier leben. Wie diese Werte hier aufgefasst werden können, muss wohl jeder für sich selbst herausfinden.
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