Wenn es eine Sache gibt, die sich jeder Tourist in Kambodscha unbedingt ansehen sollte, dann ist die Rede von Angkor Wat. Durch Erzählungen von zu Hause, aus Gesprächen mit Reisenden oder beim Lesen irgendwelcher Artikel in Magazinen, ständig hörten wir von der größten und spektakulärsten Tempelanlage der Welt. Obwohl wir auf unserer Reise schon so viele besucht haben und in diesem garantiert ein „Vielzuviel“ an Touristen auf uns warten würde, konnten wir nicht abreisen, ohne zu wissen wie es ist als Lara Croft oder Indiana Jones durch verschollene Tempelanlagen zu klettern und geheimnisvolle Details zu entdecken.
Doch hatten wir ganze fünf Tage zur Verfügung und wollten unbedingt auch Battambang kennenlernen, bevor wir aus Kambodscha ausreisten.
Sie hat sich in den letzten Jahren am meisten in Kambodscha als kunstkritische und alternative Stadt etabliert. Wenn es einen Ort geben soll, an dem das Leben angenehm und ruhig ablaufen soll, dann war immer die Rede von Battambang.
Battambangs neue Vibes
Mit dem komfortablen Nachtbus ging es von Phnom Penh aus los und als wir am Morgen dort ankamen, grüßten uns schon die Strahlen der Sonne wie auch die freundlichen Menschen. Auch heute versprüht Battambang noch Charme durch ein Viertel, indem kunstvoll inszenierte Cafés und geschmackvolle Restaurants sich die schöne gerasterte koloniale Häuserarchitektur zu Eigen machen. Es fühlte sich für uns nach etwas Besonderem an dort durch zu spazieren. Wie das Leben hier früher gewesen sein muss konnten wir nicht erahnen, aber in diesem Moment fühlte es sich gut an. Wir entdeckten Fotografie-Ateliers, ein Geschäft für Taschenbücher, die durch die Sonne schon völlig ausgebleicht waren, einen Antiquitätenhändler, der abends zur Bar umfunktioniert und viele Hilfsprojekte, die nachhaltige Produkte der Region verkaufen. Auch die Markthallen nebenan erzählten uns noch viel von früher. Die Uhr über dem Eingang steht schon lange still und das Faltdach wurde seit dem Aufbau unendlich oft repariert. Im Inneren schlenderten wir durch ein gewohntes Chaos aus Ständen und Waren aber um einiges ruhiger und gelassener als üblich.
Mit dem Gefühl etwas in der Zeit zurückgereist zu sein, fuhren wir mit einem Motorrad weiter aufs Land hinaus auf der Suche nach einem ersten Abenteuer. Auf unserem Weg begegnete uns eine alte stählerne Eisenbahnbrücke, dessen Funktion heute als Fußgängerbrücke improvisiert wird. Die Bahn wurde längst eingestellt, der zugehörige Bahnhof dient heute vielen als Bleibe und die Schienen verwachsen teilweise mit der Landschaft oder werden anders genutzt, wie zum Beispiel mit dem Bamboo Train. Nach der Schließung hat sich dieser an einem Streckenabschnitt nach Battambang zum Personentransport etabliert. Wo früher mit langen Bambusstäben angeschoben wurde, rast man heute mit 6 PS Motoren auf den Loren für bis zu sechs Personen durch die Landschaft. Mit der schlechten Qualität der Schienen und dem Wildwuchs der Pflanzen wurde das Erlebnis für uns zu einem aufregenden Spektakel. Vor allem dann, wenn der Gegenverkehr plötzlich auf uns zukam und den Weg versperrte. Oft mussten wir dann unsere Lore zerlegen und auf die Seite stellen, um den Verkehrskonflikt zu lösen.
Battambang ist auch für seine Krokodilfarmen bekannt, die mit Schwerpunkt für den chinesischen Markt Leder produzieren. Obwohl dieses Thema natürlich ein zweischneidiges Schwert ist, und unter vielen Aspekten verboten werden sollte, wollten wir uns Vorort ein Bild machen. In einer Farm mit 2000 Krokodilen spazierten wir zwischen den riesigen Pools hin und her und ließen uns alles ausführlich erklären. Leider werden sie nur zwei Mal die Woche gefüttert und den Moment verpassten wir natürlich. Die Bedingungen, in denen sie dort leben sind nicht die Besten. In ausbetonierten Becken, die wie Gehege funktionieren, leben sie zusammengepfercht Jahrzehnte vor sich hin, bis sie mittels Spritze getötet und abtransportiert werden. Sie spüren nie das Gefühl von Freiheit, wissen nicht, was es heißt zu jagen und kennen nur ihre Züchter, die manchmal nach dem Rechten sehen und ihnen Essen bringen. Sie wirkten gefährlich auf uns und fletschten die Zähne als wir näherkamen, ob sie uns als Fremde wahrnahmen oder jedem diese Reaktion entgegenbringen wissen wir nicht.
Diese Erfahrung stand für uns völlig im Kontrast zu den üblichen Tieren, die wir meist in ihrer freien Wildbahn beobachten. Fledermäuse zum Beispiel wurden während unserer Reise fast ständige Begleiter. In jedem Land hatten wir unsere Momente, wo es Abend wurde und plötzlich schwarze Schatten im Sturzflug umherflogen. In Battambang besuchten wir den Tempel Phnom Kdong aus dessen Hügel am Abend durch Höhlenöffnungen Zehntausende Fledermäuse ausflogen und im Abendhimmel verschwanden. Die synchronen wellenförmigen Schwarmbewegungen, die sie dabei formten, zauberten uns ein faszinierendes Schauspiel am Himmel. So etwas sahen wir das erste Mal. Es wirkte auf uns, als würden sie ihrer eigenen inneren Ordnung folgen, die sie dazu bringt diese Kunststücke auszuführen. Wir saßen nur da und staunten, bis der Tag zu Ende ging.
Ähnlich erging es uns, als wir den wahren heimlichen Grund unserer Reise nach Battambang besuchten. Mit unglaublich viel Herz und Seele hat eine Hilfsorganisation ein Waisenhaus gegründet, das auf vielfache Weise versucht, die kreativen Talente der Kinder in einer speziellen Schule zu fördern. Eine Schülerin, die an diesem Abend im integrierten kleinen Souvenirshop arbeitete, erzählte uns voll Freude:
„Ein paar der Zeichnungen in der Ausstellung sind von mir. Wenn du ein Teil der Schule wirst, entscheidest du dich früher oder später für eine Disziplin. Es gibt Akrobatik, Zeichnen und Musik als Schwerpunkte und wenn du volljährig bist und dein eigenes Leben beginnen möchtest, kannst du aus freien Stücken gehen, aber auch jederzeit wieder zurückkommen.“
Ihre Hauptattraktion ist ein Zirkus, der mehrmals die Woche öffentliche Aufführungen veranstaltet. Und genau diese Professionalität die sie darlegten, brachte uns zum Staunen. Wer Zirkus mag, wird diesen lieben. Es ist ergreifend die 15 bis 20 Jährigen dabei zu beobachten, wie sie versuchen, die komplexesten Kunststücke für Ihr Publikum aufzuführen, manchmal scheitern und es immer wieder erneut versuchen, bis auch der schwierigste Trick klappt. Genau diese Werte bereiten die Kinder auf das Leben vor, wie es wirklich ist.
So wurde Battambang zu einem der tiefsten Erinnerungen unserer Reise. Hier bekamen wir auch zum ersten Mal tiefere Einblicke in die Lebensweise einer einheimischen Familie, der sogenannten Khmer. Im antiken Haus von Frau Bun Roeung sahen wir, wie es früher war und heute ist in Kambodscha am Land zu leben.
„Häuser wurden früher auf Stelzen gebaut, damit die Flut während der Regenzeit nicht deinen Wohnraum überschwemmt und in der Trockenzeit nutzte man den Bereich unter dem Haus als Aufenthaltsmöglichkeit. Dort war es kühler und man hatte auch Platz für das Vieh.“ Gebaut waren diese Häuser nahezu vollständig aus Holz, was erklärt, warum heute nur mehr wenige Originale auffindbar sind. Religiöse Stätten hingegen wurden aus Stein gebaut, der seine Zeit locker überdauern kann. Das bezeugen heute vor allem die Tempeln in Angkor, wo Teile von Artefakten bis ins neunte Jahrhundert zurückreichen. Und um genau diese Tempeln zu sehen, machten wir uns als Nächstes auf nach Siem Riep, der Stadt am Eingang zu Angkor.
Angkors Welt
„Was macht diesen Ort so besonders?“ fragte sich vor allem Manuel, bevor wir nach Kambodscha fuhren. Cori war schon einmal vor acht Jahre hier und deswegen mehr darauf gespannt wie sich ein Ort in dieser Zeit verändern kann. Schon als wir den ersten Fuss auf kambodschanisches Land setzten, fingen wir an zu begreifen, wofür Angkor eigentlich steht. Selbst ein Bier wurde danach benannt. Überall im Land verstreut sahen wir Bilder, Fotografien und grafische Schriftzüge der Tempel und Skulpturen, die ursprünglich aus Angkor stammen. Wenn wir durch die Straßen spazierten, erkannten wir oft Säulen, Fassaden oder ganze Gebäudeteile, die an die großen antiken Vorbilder angelehnt waren. Auch im Büro von Building Trust bemerkten wir bei vielen einheimischen Kollegen, dass ihre Entwürfe sich hauptsächlich mit den ästhetischen Prinzipien von Angkor Wat beschäftigen. Alle diese Kleinigkeiten zeugten für uns von einem ungeheuren Stolz auf ihre vergangene Kultur.
Außerhalb von Kambodscha spricht man meist von dem Tempel der im Dschungel wiederentdeckt wurde. In Wirklichkeit aber wussten die Menschen hier immer über ihre Vergangenheit Bescheid und haben lediglich nie Profit daraus geschlagen. Das ist heute anders. Ab Februar 2017 kosten drei Tage Eintritt mittlerweile 62 Dollar, also ungefähr 58 Euronen. Vor acht Jahren waren hier laut Corinna noch nicht einmal asphaltierte Straßen, geschweige denn eine Fortgehmeile für Touristen. Heute existiert alles, was man sich vorstellen kann. Ein weit verzweigtes Straßennetz direkt vor jedem Tempel, Restaurants an jeder Ecke, Bars und Clubs, Spas und Yogazentren und vieles mehr was des Erwachsenen Herz begehrt.
Und genau so funktioniert das Areal von Angkor selbst auch. Jeder Tempel darin ist eine einzigartige Attraktion aus einer anderen Epoche und anderen Herrscher mit anderen Vorbildern und Gestaltungsschwerpunkten.
Und genau das haben wir daran geliebt, was gut funktioniert, solange man nicht versucht dem offensichtlichen Trubel aus dem Weg zu gehen.
Angkor Wat begrüßte uns am Beginn des Tages mit einem schönen Sonnenaufgang und farbenprächtigen Türmen. Mit jedem Schritt, den wir darin machten, entdeckten wir neue Details und unvergleichliche Architekturen. Der zweite Tempel wird Bayon Tempel genannt und ist in der Blütephase der Hochkultur entstanden. An seinen massiven Steintürmen befinden sich hunderte meterhohe Gesichter, die auf uns herunterblickten. Dazwischen suchten wir unseren Weg in einem Labyrinth aus Gängen und Plätzen. Und so ging es weiter und weiter den ganzen Tag. Jedes Mal wenn wir um die Ecke bogen war ein nächster Tempel in Sicht. Viele von ihnen waren wunderschön in die umliegende Natur eingebettet. Der Ta Phrom Tempel war wohl am aller meisten mit Bäumen und Pflanzen verwachsen und ist bekannt durch seine Verwendung als Filmkulisse. Unvorstellbare Formen entstanden dort durch die Verschmelzung von Natur und Architektur. Der Banteay Srei Tempel hatte die mit Abstand feinsten Steingravuren, die wir je gesehen haben. Laut Nachforschungen wurde zuerst der gesamte Komplex erbaut und danach von zarten Frauenhänden zu Skulpturen geformt. Der rote Sandstein und seine floralen Muster machten ihn auch zum weiblichsten Tempel von allen.
Aber der für uns tollste Tempel war Preah Khan. Er hatte keine wirklich spektakulären Besonderheiten wie viele andere. Er wurde auch sonst nicht in irgendeiner Art besonders hervorgehoben. Aber er war ruhig und unberührt. Die meiste Zeit darin konnten wir uns ungestört und frei durch eine Landschaft bewegen, wo Decken eingestürzt und Wege unterbrochen sind, wo Bäume die Wände hochwachsen und Fledermäuse uns beim Erforschen dieser fremden Landschaften einen Schrecken einjagten. Hier holte uns unsere Fantasie endgültig ein:
„Wir stiegen gedanklich hinab in unsere eigene kleine Welt namens somewhere, in der alles ein Abenteuer ist und nichts bereits auf dem Teller serviert wird.“
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